Sim4BGM ohne Arbeitsschutz?

Sonntag, 6. Juli 2014 - 08:53

In http://www.smartliving.com.de/sim4bgm

BGM-Prozesse unternehmensspezifisch entwickeln und simulieren

Das Vorhaben Sim4BGM (Simulation für Betriebliches Gesundheitsmanagement)
von SmartLiving GmbH, GeoMobile GmbH und paluno – The Ruhr Institute for
Software Technology wurde auf der CeBIT 2014 von Jürgen Graalmann, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes und Ministerialdirektor Professor Dr. Wolf-Dieter Lukas vom BMBF mit dem Förderpreis AOK-Leonardo ausgezeichnet. …

Sehr geehrter Herr Lothar Schöpe, sehr geehrter Herr Dr. Matthias Book, sehr geehrter Herr Jochen Meis,

Warum bieten sie nichts zum Arbeits- und Gesundheitsschutz an, z.B. “Arbeitsschutz-Prozesse im Bereich der psychischen Belastungen unternehmensspezifisch entwickeln und simulieren”? Hier gibt es im IT-Bereich viel größere Defizite (Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz) als im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Es ist ziemlich ärgerlich, wenn sich Unternehmen werbewirksam mit der Kür des freiwilligen und vorwiegend verhaltenspräventiven Betrieblichen Gesundheitsmanagements befassen ohne vorher ihre Pflichten im verhältnispräventiven Arbeits- und Gesundheitsschutz zu erledigt zu haben.

Aus Sicht der Unfallversicherung ist eine grundlegende Voraussetzung für einen »gesunden Betrieb« ein funktionierender Arbeitsschutz, in dem die gesetzlichen Vorgaben des Arbeitsschutzes und weitere relevante öffentlich-rechtliche Verpflichtungen eingehalten werden. Bietet Sim4BGM Arbeitnehmervertretungen die Möglichkeit, vor dem Einsatz des Werkzeug zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind?

Welche Informationen stellen Sie Betriebsräten zur Verfügung, die beim Arbeits- und Gesundheitsschutz, bei der Verhaltenskontrolle mit technischen Mitteln und bei Fragen des Verhaltens und der Ordnung im Betrieb mitbestimmen? Bitte geben Sie einen Link dazu an.

Mit freundlichen Grüßen
Götz Kluge
2014-07-06

 


Subject: AW: Offener Brief zu Sim4BGM
Date: Tue, 8 Jul 2014 11:08:37 +0200

Sehr geehrter Herr Kluge,

vielen Dank für ihre Nachricht.

Nach A. Oppolzer “Gesundheitsmanagement im Betrieb” VSA Verlag Hamburg, 2010 umfasst das betriebliche Gesundheitsmanagement 3 Ebenen (Abbildung 3 auf Seite 31) und die drei Säulen “Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz”, “Betriebliche Gesundheitsförderung” und “Integriertes Management”.

Auf allen Ebenen und in allen Säulen gibt es sicher noch Handlungsbedarf, denn wie sie dargelegt haben sind längst nicht alle Probleme gelöst und der Spagat zwischen Kür und Pflicht längst noch nicht geschlossen.

In unserem aktuellen Vorhaben können wir diese Lücke leider auch nicht schließen; wir haben uns auf ein anderes Problem – der Schaffung einer generellen Akzeptanz für das Thema BGM – fokussiert. Bei Defiziten beim gesetzlich geregelten Bereich “Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz” in Betrieben ist der Gesetzgeber gefragt, damit diese Pflicht auch ordnungsgemäß erfüllt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Lothar Schöpe

In seiner freundlichen Antwort weist Lothar Schöpe auf die Rolle des Gesetzgebers hin. Man könnte meinen, dass es die Aufgabe der Überwachungsbehörden (z.B. Gewerbeaufsicht) sei, die Pflichterfüllung der Arbeitgeber zu überwachen. Das ist aber nur Theorie. Lothar Schöpe hat also eigentlich recht, denn praktisch sind die Aufsichtsbehörden mit ihrer Aufgabe seit vielen Jahren und auch heute noch überfordert. Vor zwei Jahren machte ja sogar der Bundestag deutlich, dass 80% der Betriebe psychische Belastungen nicht ordnungsgemäß beurteilten, also ziemlich ungehemmt gegen das Arbeitsschutzgesetz und gegen die im IT-Bereich besonders wichtige Bildschirmarbeitsplatzverordung verstoßen konnten. Da muss nachgearbeitet werden.

Der kürzlich in das Arbeitsschutzgesetz eingearbeitete Einbezug der psychischen Gesundheit in das Arbeitsschutzgesetz war ja keine wirkliche Änderung, sondern nur eine Klarstellung geltenden Rechts. Da die gesetzlichen Regeln also offensichtlich nicht ausreichen, wäre die viel diskutierte “Anti-Stress Verordnung” eine Möglichkeit, das seit 1996 geltende Recht auch zu einem durchgesetzten Recht werden zu lassen.

Eine weitere Möglichkeit ist die Stärkung der Betriebs- und Personalräte. Besonders wichtig ist dabei die Förderung ihrer Kompetenz - bis hin zur Fähigkeit, Arbeitsschutzmanagementsysteme auditieren zu können. Gemäß Betriebsverfassungsgesetz ist die Überwachung der Einhaltung von Schutzgesetzen nämlich auch eine Pflicht der Arbeitnehmervertretungen. Die sind oft ebenfalls überfordert. Da es in Deutschland außerdem in der Praxis immer noch möglich ist, straflos die Straftat der Behinderung der Bildung von Betriebsräten zu begehen und existierenden Betriebsräte bei ihrer Arbeit zu behindern, hat der Gesetzgeber auch hier eine bisher noch nicht erledigte Aufgabe.

Dem Sim4BGM-Projekt wünsche ich viel Erfolg. Arbeitnehmer im IT-Bereich können das gut gebrauchen. Solche Tools können die Mängel im Arbeitsschutz nicht beheben, aber Arbeitnehmervertreter, in deren Betrieben diese Tools eingesetzt werden, müssen darauf achten, dass die Voraussetzungen stimmen: ein funktionierender Arbeitsschutz, in dem die gesetzlichen Vorgaben des Arbeitsschutzes und weitere relevante öffentlich-rechtliche Verpflichtungen eingehalten werden.


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