Mentale Arbeitsbelastung für Mensch und Maschine

Montag, 29. April 2013 - 23:07

In http://www.haufe.de/sozialwesen/leistungen-sozialversicherung/burnout-ist-die-zunahme-psychischer-erkrankungen-ein-irrtum_242_176264.html berichtet haufe.de über den Rostocker Mediziner Wolfgang Schneider, der eine Zunahme psychischer Erkrankungen anzweifelt. Das bekannte Argument:

«Es gibt eine große Bereitschaft von Menschen, sich als psychisch belastet anzusehen und sich deshalb krankschreiben zu lassen», sagte der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Mag sein oder auch nicht. Tatsächlich wird es vielleicht eher eine Bereitschaft von Menschen geben, sich als psychisch fehlbelastet anzusehen und sich deshalb krankschreiben zu lassen. Ob das eine “große” Bereitschaft ist, müssen Forscher herausfinden. Was würde es bedeuten, wenn Krankschreibungen wegen vermuteter psychischer Fehlbelastungen tatsächlich “nur” Dank der Enttabuisierung des Themas zunähmen? Entwarnung?

Mental Workload ist Gegenstand der englischsprachigen Norm ISO 10075, was leider mit psychische Belastung in das Deutsche übersetzt wurde. Dass die Mentale Arbeitsbelastung zunimmt, ist jedenfalls einfach messbar: Heute werden speziell dem Büromenschen mehr Informationen zugeführt, als früher. Er hat zwar auch viel mehr Verarbeitungshilfen, aber es müssen immer noch mehr Entscheidungen getroffen und verantwortet werden. Es wird effizienter gearbeitet, also mit weniger Redundanz und deswegen auch mit geringerer Fehlertoleranz. Wie die Menschen lernen, damit umzugehen und ob eine Zunahme mentaler Arbeitsbelastungen mit einer Zunahme mentaler Fehlbelastungen einhergeht, wird sich immer wieder zeigen müssen. Die Veränderungen sind turbulent.

Wieviel Mühe geben sich die Arbeitgeber überhaupt, arbeitsbedingte psychische Belastungen zu verstehen? Seit 1996 strengt sich die Mehrheit der Arbeitgeber sehr an, Gefährdungen durch arbeitsbedingte psychische Fehlbelastungen nicht zu erfassen. Die behördliche Aufsicht ist unterausgestattet und muss deswegen ziemlich hilflos zusehen, wie Unternehmen ihre Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz locker missachten konnten und immer noch können. So fehlen dann die Daten, die Wolfgang Schneiter bräuchte, um brauchbarere Aussagen machen zu können. Das soll wohl auch so sein.

Nicht nur Menschen könnten von der ihnen zugeführten und von ihnen zu verarbeitenden Information zunehmend überfordert werden, sondern auch technische Systeme. Es sind nun häufig Softwareprobleme, die die rechtzeitige Auslieferung von Zügen und Flugzeugen verzögern. “Mentale” Arbeitsbelastung wird gerne unterschätzt, ob beim Menschen oder bei Computern. Und das Wachstum der Informationsverarbeitung wird immer noch als von materiellen Beschränkungen unbegrenzt behandelt; dabei solle der Energieverbrauch von “Server Farmen” weltweit die Umwelt bereits schon so belasten, wir der Flugverkehr. Die zunehmende Informationsverarbeitung erhitzt eben nicht nur die Gemüter.

 
Nachtrag (2013-05-05): Siehe auch in einem weiteren Zusammenhang: Thomas Schulz, Mensch gegen Maschine, SPIEGEL 18/2013 (2013-04-29), S. 62-64 und Maschinen verdrängen Menschen.


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