Wo ist die Kritik an Standards für Qualitätsmanagementsysteme?
Freitag, 19. Oktober 2012 - 10:02
Es scheint kaum kritische Anmerkungen zu Standards für Managementsysteme zu geben. Nicht, dass ich verzweifelt nach Schwachstellen suche, aber bedeutet das Fehlen von Kritik an solchen Standards und deren Anwendung in der Praxis nicht auch, dass sie nicht verstanden und nicht ernst genommen werden? Bei den Betriebsräten ist beispielsweise OHSAS 18001 kein Thema, obwohl die Arbeitgeber viel Geld dafür ausgeben, Zertifikate vorzeigen zu können. Da es in Deutschland Unternehmen gibt, die trotz gesetzeswidrig mangelhaften Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht nur von akkreditierten Auditoren zertifiziert, sondern sogar re-zertifiziert wurden, ist hier etwas ziemlich faul! Da versagten nicht nur Auditoren, sondern auch die Akkreditierung der Zertifizierungsgesellschaften durch die DAkkS ist fragwürdig.
Vielleich habe ich da auch etwas falsch verstanden. Darum arbeite ich mich nun etwas eingehender in das Thema ein. Dass ich mit meinen Zweifeln an dem Zertifizierungsgeschäft nicht ganz daneben liege, konnte ich zum Beispiels in David Hoyles ISO 9000 Quality Systems Handbook (2009) nachlesen. Hoyle hat mich auch neugierig gemacht, was John Seddon in The Case Against ISO9000: How to create real quality in your organisations (2000) zu sagen hat, denn Forderungen wie “Replace compliance with responsibility” sind gut nachvollziebar. Wo Seddons Kritik zu weit geht, hilft sie vielleicht trotzdem, die Praxis zu verbessern: Auditoren und Zertifizierungsgesellschaften müssen zeigen, dass Seddon sich irrt.
Das Zertifizierungsgeschäft mag oft nur eine Farce sein, eine Flucht vor der Verantwortung für komplexe Prozesse, eine Pflichtübung sowohl zur Haftungsabwehr wie auch zur selbstreferenziellen Bestätigung einer eigenen anspruchsvollen Ethik. Bei OHSAS 18001 (und einer eventuellen daraus noch abzuleitenen ISO Norm) könnte das nun jedoch anders aussehen: Bei den Reihen ISO 9000 und der ISO 14000 sind die Kunden (Käufer und Umwelt) außerhalb des Betriebes angesiedelt, aber bei Arbeitsschutzmanagementstandards wie der OHSAS sind die Mitarbeiter die Kunden. Sie müssen das aber erst noch merken. Sie sitzen in den Betrieben und könn(t)en mitbestimmen - vorausgesetzt, dass Gewerkschaften und Betriebsräte aufwachen und Kompetenz entwickeln, den Standard als einen von den Arbeitgebern selbst ausgesuchten Maßstab für unternehmerische Verantwortung zu verwenden.
Siehe auch:
- http://www.bwl-bote.de/20090729.htm
… Haftungsabwehr als Hauptmotiv - Die Prozeßdokumentation, das Herzstück jedes Qualitätsmanagementhandbuches, dient nämlich zunächst nicht der Qualität, sondern der Gefahrenabwehr. Wird jeder Arbeitsschritt akribisch dokumentiert, so kann später bei Problemen ein Anscheinsbeweis der Richtigkeit geführt werden. Das entschärft Produkthaftungsklagen, besonders wichtig in Amerika, dem Land der unbegrenzten juristischen Möglichkeiten. …
- http://www.bwl24.net/blog/2009/07/28/iso-9000-was-hat-sich-in-der-iso-90002000-rev2008-geandert/
… Zudem bleibt der grundlegende Einwand, daß die ISO-Zertifizierung meist wenig mit Qualität zu tun hat, sondern nur etwas mit Haftungsabwehr entlang der Versorgungskette. Die ISO-Zertifizierung wird eben meist nicht von Endkunden, sondern von Konkurrenten oder Verbandsorganisationen verlangt, und soll ein ruhiges Geschäft mit klaren Verhältnissen und wenig Konkurrenz sicherstellen – was gerade nicht im Interesse des Kunden sein kann. …
- http://www.alk-bawue.de/documents/events/frt_2006/Vortrag_Siebolds.pdf
… Die Themen
• Verlogene QM-Motivation
• Verborgene Führungsverständnisse als Fallstrick
• Warum ist QM ein bedeutendes Führungsinstrument?
• QM als organisationsumfassender Lernprozess
… - http://www.brandeins.de/magazin/qualitaet-1/die-geprellten.html
…Die ISO 9000 ist absurd, global verbreitet und längst zum Selbstläufer geworden. Es gibt kaum einen Konzern, eine Regierungsorganisation oder größere Mittelständler, die von ihren Lieferanten nicht die strikte Einhaltung der ISO 9000 verlangen. Zwar muss man das nicht, keine Norm ist ein Gesetz. Aber wer nicht mitspielt, ist geschäftlich erledigt, kriegt keine Aufträge mehr und ist aus dem Rennen.
…
All das erhöht nicht die Qualität, bringt jedoch eine Reihe privatwirtschaftlich organisierter Bürokraten über den Monat. Denn wer die ISO 9000 erfüllen will, muss sich zertifizieren lassen, prüfen, seinen Laden restrukturieren, alles kontrollieren, dokumentieren und so weiter und so fort. Aus Unternehmen werden Amtsstuben. Das ist nicht billig. Ein paar Hunderttausend Euro kostet der Spaß auf jeden Fall. Und Auditoren, die Amtsräte des 21. Jahrhunderts, haben dadurch gut zu tun. Sie schaffen sich ihre Arbeit selbst. So marschiert die Wirtschaft geschlossen ins neue Berufsbeamtentum. … - http://www.hampp-verlag.de/ArchivIndB/2_98_Walgenbach.pdf
Industrielle Beziehungen, 5. Jg., Heft 2, 1998
Peter Walgenbach
Zwischen Showbusiness und Galeere.
Zum Einsatz der DIN EN ISO 9000er Normen in Unternehmen
… - http://politologe.wordpress.com/2010/09/29/aktuell-pragende-qualitatskonzepte-teil-2-iso-9000-9001/
- http://suite101.de/article/ein-insider-packt-aus-falschspiel-im-zertifizierungsgeschaeft-a112550
- http://blog.psybel.de/just-for-the-badge-on-the-wall/
- http://blog.psybel.de/kategorie/referenzen/kan/