Aufsicht ausgedünnt

Sonntag, 22. Juli 2012 - 11:12

Wie konnte es zu der Demontage der Arbeitsschutz-Aufsicht kommen?

BDA-Geschäftsbericht 2004
http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/files/66D039DEA7DBE91BC12574EF004FFB09/$file/BDA_GB_2004.pdf, S. 54:

… Die historisch gewachsene Organisationsstruktur der gewerblichen Berufsgenossenschaften muss gestrafft und im Hinblick auf die Aufgabenstellung und moderne Anforderungen des Verwaltungshandelns optimiert werden. Aufgrund von Veränderungen und Gewichtsverschiebungen in und zwischen den Branchen ist die heutige Organisationsstruktur nicht mehr zukunftsfähig. Fusionen müssen daher erleichtert und von der Selbstverwaltung verstärkt vorangetrieben werden. Daneben sind die Verwaltungsstrukturen der Berufsgenossenschaften zu verschlanken und die Möglichkeiten anderer Organisations- und Finanzierungsformen im Bereich der berufsgenossenschaftlichen Schulungsstätten, Forschungsinstitute und Kliniken zu prüfen.

Doppelarbeiten von Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaft mit zwangsläufigen Reibungsverlusten und Doppelbelastungen für die Betriebe zugunsten einer einheitlichen Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften sind zu beseitigen. Dabei darf es jedoch zu keinen zusätzlichen Kostenbelastungen für die Berufsgenossenschaften kommen.

 
http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/32_vorschlaege.pdf

4. Vorschlag: Mehrfachzuständigkeiten im Arbeitsschutz abbauen

Bereich / Rechtsgebiet: Arbeitsschutzrecht

Gesetzliche Grundlage: § 21 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Gesetzliche Grundlage: § 21 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)

Ausganglage / Problemstellung: Das duale Arbeitsschutzsystem in Deutschland zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl staatliche Behörden – die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder – als auch die Berufsgenossenschaften Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer wahrnehmen. Unternehmen beklagen, dass diese Parallelzuständigkeiten in der Praxis häufig kostenintensive Doppelprüfungen nach sich ziehen, zumal Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften ihre Prüfungen oftmals nicht untereinander abstimmen.

Lösungsvorschlag: Bei Überschneidung der Zuständigkeiten sollten in Zukunft die Berufsgenossenschaften in der Regel allein zuständig sein. Mindestens sollten die zuständigen Landesbehörden und die Berufsgenossenschaften ihre Aktivitäten beim Arbeitsschutz besser koordinieren und miteinander verzahnen, um so die Belastungen der Betriebe zu reduzieren. Als erster Schritt kann die diskutierte gemeinsame Beratungs- und Überwachungsstrategie sinnvoll sein, sie sollte daher zügig umgesetzt werden. Zuständiges Bundesressort: Bundesministerium für Arbeit und Soziales

DIHK-Ansprechpartner:
Hildegard Reppelmund
Tel: 030-20308 2702, reppelmund.hildegard@berlin.dihk.de
Dr. Oliver Heikaus
Tel: 030-20308 1115, heikaus.oliver@berlin.dihk.de

 
Fachinformationen zur Arbeitsgestaltung I NR. 43 I Oktober 2011
http://www.igmetall.de/cps/rde/xbcr/SID-577D2ED4-F01794B3/internet/Tipp43_V6_Finale_Screen_0180513.pdf, S. 2

Die Kritik der Arbeitgeber war heftig, ihre Argumente einfach: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) beklagte Mehrfachzuständigkeiten im Arbeitsschutz als nicht zeitgemäß. Hier die Berufsgenossenschaften, dort der staatliche Arbeitsschutz – das führe zu „Doppelarbeiten mit zwangsläufigen Reibungsverlusten und Doppelbelastungen für die Betriebe“, monierte 2004 auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). All das koste die Unternehmer Zeit und Geld. Ihre Klagen hatten Erfolg. Die staatlichen Arbeitsschutzbehörden wurden regelrecht demontiert. In einigen Bundesländern wurden die Gewerbeaufsichtsämter aufgelöst, mal wurde das Personal in Land- und Stadtkreise verschoben, mal der Unfallkasse zugeteilt, mal sind weitere Aufgaben hinzugekommen. Fast überall wurde das Personal so ausgedünnt, dass von einer funktionierenden Arbeitsschutzaufsicht kaum noch zu sprechen ist.

Das hat Folgen. Ein Beispiel: Im Jahr 2009 besuchte der staatliche Arbeitsschutz in Nordrhein-Westfalen knapp 11000 von insgesamt 920000 Betriebsstätten, gut ein Prozent. Daraus ergibt sich, dass die Arbeitsschützer einen Betrieb rechnerisch alle 86 Jahre aufsuchen. Auch der EU-Ausschuss Hoher Aufsichtsbeamter (SLIC) übte in seinem Bericht von 2006 Kritik. „In Fällen, wo eine Sanktion voll gerechtfertigt gewesen wäre, verhängten die Inspektoren keine Sanktionen, sondern übernahmen faktisch Mitverantwortung für die Situation.“ Inspektionen ohne vorherige Ankündigung, „ein wesentliches und wertvolles Inspektionsmittel“, vermisste der EU-Ausschuss ebenfalls.

Um Ressourcen besser zu nutzen und eine bessere Abstimmung zwischen staatlicher Aufsicht und Berufsgenossenschaften zu erzielen, wurde die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, kurz GDA, verabschiedet und im § 20a Arbeitsschutzgesetz festgelegt. Die GDA definiert gemeinsame Arbeitsschutzziele, etwa die Verringerung der Muskel-Skelett-Erkrankungen. Sie entwickelt gemeinsame Arbeitsprogramme und zielt darauf, dass sich die zuständigen Landesbehörden und die Unfallversicherungsträger bei der Beratung und Überwachung der Betriebe und bei den Vorschriften- und Regelwerken abstimmen.

(Link nachträglich eingetragen)

Die Vorschläge von BDA und DIHK sind nicht durchweg schlecht, umgesetzt wurden anscheind aber vorwiegend Einsparungen, nicht jedoch eine qualitätserhaltende Koordination. Außerdem gibt es einen Unterschied zwischen dem Ansatz der Berufsgenossenschaft, in der auch die Arbeitgeber Mitglieder und Kunden sind, und einer staatlichen Aufsicht. Und staatliche Aufsicht ist offensichtlich nötig.

Aktualisierung des Artikels: 2012-07-04

 
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