Frage an die Bundesarbeitsministerin

Dienstag, 20. März 2012 - 07:16

An die Bundesministerin für Arbeit und Soziales

 
Sehr geehrte Frau Dr. von der Leyen,

Ihr Interview in der Saarbrückener Zeitung irritiert mich zunehmend, nicht nur weil Sie inzwischen ihren Hinweis auf “Unwissen und Hilflosigkeit” der Arbeitgeber wiederholten.

Noch einmal das Interview (letzter Teil): http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/interview-vdl-saarbruecker-zeitung-2011_12_27.html


Saarbrücker Zeitung: Was haben Sie sich für 2012 vorgenommen?

Von der Leyen: Es gibt ein Thema, das bislang viel zu kurz gekommen ist: die psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. Jeder dritte Bürger, der heute vorzeitig in Rente geht, tut das, weil er den Anforderungen seines Jobs psychisch nicht mehr gewachsen ist. Im Schnitt gehen die Leute mit Mitte Vierzig. Das ist für die Betriebe wie für die Gesellschaft ein Riesenverlust. Allein die Behandlungskosten dafür belaufen sich auf geschätzte 27 Milliarden Euro im Jahr. Diese Zahlen sollten aufrütteln.

Saarbrücker Zeitung: Was wollen Sie dagegen tun?

Von der Leyen: Nach dem Arbeitsschutzgesetz muss, wer den Arbeitsschutz auch in seelischer Hinsicht vernachlässigt, mit empfindlichen Strafen bis hin zu Gefängnis oder Betriebsstilllegung rechnen. Wir brauchen also keine schärferen Gesetze. Studien zeigen, dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit. Deswegen müssen wir besser informieren, Lösungswege aufzeigen, kontrollieren und die Beteiligten motivieren.

Saarbrücker Zeitung: Warum?

Von der Leyen: Arbeitsausfälle, Behandlung und Renten kosten, kluge Vorsorge kann Milliardensummen sparen. Wir wollen uns im nächsten Jahr mit den Tarifpartnern, Sozialversicherungsträgern sowie Länderexperten zusammensetzen, um wirksame Maßnahmen gegen psychische Überlastungen im Beruf zu entwickeln. Ich stelle mir dazu eine breit angelegte Kampagne vor.

Sie sagten, dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen und meinten: “Wer den Arbeitsschutz auch in seelischer Hinsicht vernachlässigt, [muss] mit empfindlichen Strafen bis hin zu Gefängnis oder Betriebsstilllegung rechnen”. Frage: Wieviele Ordungswidrigkeiten wurden seit 2005 wegen Vernachlässigung des Arbeitsschutzes in seelischer Hinsicht festgestellt? Wieviele wurden geahndet? (2012-07-19: Die Antwort vom BMAS enthielt vor allem Informationen, die Sie der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur “Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz” entnehmen können.)

Ich frage nicht einmal nach Gefängnisstrafen und Betriebsstillegungen, was dem Erhalt von Arbeitsplätzen auch nicht besonders zuträglich wäre. Solche Drohungen können es außerdem den Arbeitnehmervertretern in einem Unternehmen erschweren, Mängel im Arbeitsschutz anzusprechen.

In Bayern soll mit Zielvereinbarungen gearbeitet werden. Kann es aber sein, dass selbst diese milde Maßnahme nicht funktioniert und Aufsichtspersonen es durchgehen lassen, wenn von Unternehmen z.B. die Einhaltung der Bildschirmarbeitsverordnung behauptet wird, obwohl es die in der Verordnung geforderten Beurteilungen psychischer Belastungen nicht gibt?

 
Es gibt beim Arbeitsschutz außerdem noch ein Einstellungsproblem, das auch am Ende Ihres Interviews deutlich wird. Wenn Sie gefragt werden, warum der Arbeitsschutz umgesetzt werden muss, dann hat eines die höchste Priorität: Der Arbeitgeber darf keine Körperverletzungen riskieren! Ein Unternehmer, der in seinem Unternehmen psychisch wirksame Belastungen nicht von den Arbeitnehmern mitbestimmt und den Vorschriften entsprechend beurteilt, riskiert heute wissentlich eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos seiner Mitarbeiter.

Es nervt zunehmend, wie sehr selbst Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsichten, Bundesarbeitsministerinnen und sogar Gewerkschaften glauben, auf die wirtschaftlichen Folgen der Pflichtverletzungen der Unternehmen beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz hinweisen zu müssen, um die Unternehmen zur Einhaltung der Vorschriften zu bewegen. Das meine ich mit “Einstellungsproblem”. Auch von Ihnen hätte auf die Frage “warum?” der Saarbrücker Zeitung eine bessere Antwort gegeben werden müssen müssen. Sie, Frau Dr. von der Leyen, sind Ärztin. Zunächst geht es darum, Körperverletzung zu verhindern.

 
Mit freundlichen Grüßen
Götz Kluge

 
PS:

Das Gehirn des modernen Menschen ist ökonomisch verseucht.

Herrmann Broch, Massenwahntheorie. 1939 bis 1948. 3. Teil, Kapitel 5.8. Totalwirtschaft und Totalversklavung
 


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