Hysterische Hysterie-Kritik

Dienstag, 25. Oktober 2011 - 07:44

Der Journalist Christian Weber benutzt in seinem etwas hysterisch geratenen Artikel “Die Burn-out-Hysterie” (SZ 2011-10-22, S. 24, Untertitel: “Die anhaltende Debatte um das scheinbar zunehmende Leiden zeugt von einem falschen Verständnis psychischer Krankheiten”) einen alten Trick: Die Kritik von Absichten, die der Kritiker dem Kritisierten unterstellt:

Wer mit Hilfe der Psychiatrie die Arbeitsbedingungen und Zwänge des modernen Lebens kritisieren will, tut den Ausgebrannten nichts Gutes. Er nährt die Illusion, dass ein bisschen Umbau in Betrieb und Gesellschaft psychische Krankheiten beseitigen könnte; und dass nur die Anderen schuld seien am eigenen Zustand.

Wo ist denn jemand mit signifikantem Einfluss, der mit Hilfe der Psychiatrie die Arbeitsbedingungen und Zwänge das modernen Lebens kritisieren will? Das Instrument der Kritik ist nicht die Psychiatrie, sondern die Organisations- und Arbeitspsychologie. Wenn die Psychiatrie einschreiten muss, ist es nämlich schon zu spät. Christian Webers Kritik, es gäbe die Illusion, “dass ein bisschen Umbau in Betrieb und Gesellschaft psychische Krankheiten beseitigen könnte; und dass nur die Anderen schuld seien am eigenen Zustand” ist unredlich. Eine solche Illusion gibt es zumindest nicht bei denen, die den Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz vorantreiben. Es ist also wohl Christian Weber, der hier Probleme mit der Realität hat und das dann auch noch in der SZ-Rubrik “Wissen” in die Welt setzt.

Psychosomatische Störungen durch psychische Fehlbelastung gibt es. Insbesondere Sozialstress in der Herde beobachtet beispielsweise mein Vetter in seinem (auch in schwierigen Zeiten erfolgreichen) großen Milchproduktionsbetrieb. Gibt es zuviel davon, dann wird die Milch zwar nicht sauer, aber weniger. Das bedeutet niedrigere Produktivität. Darum reduziert mein Vetter schädlichen Stress, wo das möglich ist. Gelegentlich bietet er seinen Viechern auch Stress, der anregend ist. Wichtig dabei: Trittbrettfahrer und Simulanten, die sich ihre Krankheiten anlesen, gibt es unter den Kühen eher weniger.

Nun von der Natur von Kühen mit Leseschwäche zu uns Menschen. Christian Weber meint:

Viel wahrscheinlicher ist, dass Angst und Depression, Zwang und Psychose zur Natur des Menschen gehören wie körperliche Krankheiten. Das Hirn ist die wahrscheinlich komplexeste Struktur des Universums; wie sollte es ein Leben lang fehlerfrei arbeiten?

Schon wieder kämpft Weber gegen eine Behauptung, die er sich einbildet. Die Menschen nehmen das Gegenteil dessen an, was Weber glaubt: Sie glauben nicht an Fehlerfreiheit des Gehirns und konstruierten sich deswegen einige ganz erfolgreiche Fehlerkorrekturverfahren (z.B. die Demokratie, in der dann wiederum Schutzgesetze beschlossen wurden). Es hilft uns nicht viel weiter, mit der “Natur” der Menschen zu argumentieren in einer Umwelt (nicht nur Arbeitsumwelt), die sich durch das Wirken der Menschen viel intensiver verändert hat, als die evolutionäre Entwicklung unserer Gehirne. Das ist nicht schlecht, aber wir müssen mit dieser “unnatürlichen” Entwicklung auch “unnatürlich” umgehen. Teilweise gelingt uns ja schon: Wir wenden uns mit Verstand der Arbeits- und Organisationspsychologie zu, aber nicht, um alle psychischen Krankheiten abzuschaffen, sondern um besser zu arbeiten und zu leben. Christian Webers Gehirn (die wahrscheinlich komplexeste Struktur des Universums?) kennt den Anspruch des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nicht.

Es gibt Leute, die sich mit dem Thema, dem Christian Webers Kollegen gerne den Titel  “Burn-out” geben, gut auskennen:

Meine eigene Kritik benutzt nicht die Psychiatrie als Instrument der Kritik an der neuen Arbeitswelt, sondern konzentriert sich auf die schlichte Tatsache, das in den meisten Betrieben überhaupt gar nicht erst in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise hingesehen wird, wie die Belastungen aussehen und ob sie Fehlbelastungen sein könnten. Diese Missachtung von Schutzvorschriften kann nämlich nachgewiesen werden. Das scheint der Süddeutschen Zeitung zu kompliziert zu sein. Aber die Bouleverd-Presse in München griff das Thema Anfang dieser Woche und mit Christa Haderthauers staatsministerieller Nachhilfe auf, natürlich wieder unter dem “Burn-out”-Titel: Die Abendzeitung München bemühte zwar “Burnout-Detektive” und “Burnout-Aufpasser”, aber sie kommt damit dem Problem unzureichender Aufsicht im Arbeitsschutzpraxis immer noch näher, als die Süddeutsche Zeitung das bisher vermochte. Der Boulevard braucht wohl den Burnout-Begriff. Endlich wurde eines der Hauptprobleme dort einfach erklärt auf den Punkt gebracht: Die Unternehmen halten sich nicht an die Regeln. Darum ist nun Aufsicht nötig.

Ein anderer Minister Bayerns, Markus Söder, kündigte in dieser Woche dann auch noch einen Burnout- und Psychiatrie-Beauftragten an. Diese Kombination finde ich problematisch. Politiker neigen halt zur Vereinfachung. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass es eine generelle Burnout-Hysterie gebe. Dass zu viel und zu platt von “Burnout” geschrieben wird, ist doch auch eine Folge der Forderung nach Vereinfachung komplexer Themen. Die unsaubere Verwendung des Begriffes verdient Kritik, aber Christian Weber setzt sie falsch an und forkussiert auf die Diagnose von Erkrankungen. Die Burnout-Thematisierungen von Christa Haderthauer und Markus Söder zielen aber (endlich den Regeln des Arbeitsschutzes entsprechend) auf die Prävention ab. Da geht es um die Diagnose des Zustandes von Arbeitsplätzen.

Michaela Mosers Kritik in (in Perspektive Mittelstand) ist auch nicht zimperlich: “Burnout-Geschwafel löst nicht das Problem” (http://www.perspektive-mittelstand.de/Erschoepfungsinflation-Burnout-Geschwafel-loest-nicht-das-Problem/management-wissen/4331.html). Aber ihr Schluss ist wichtig:

… Noch problematischer ist indes, dass den meisten, das Thema Burnout mittlerweile zum Halse raushängt. Denn ist das Erschöpfungssyndrom mal endgültig durch das mediale Dorf getrieben, wird die Berichterstattung, ebenso wie nach dem Depressions-Hype um den Tod von Robert Enke, wieder abflauen. Und damit letztlich auch der Handlungsdruck zur Burnout-Prophylaxe – sowohl bei Arbeitgebern als auch jenen die Burnout-gefährdet sind. Genau dies aber wäre fatal – nicht für die Betroffenen, sondern auch die Arbeitswelt von morgen und nicht zuletzt die deutsche Wirtschaft insgesamt!


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