Thema des Monats Mai: Psychische Gesundheit

Montag, 2. Mai 2011 - 21:25

http://www.dgfp.de/de/content/articles/thema-des-monats-mai-2011-psychische-gesundheit-2025/, Deutsche Gesellschaft für Personalführung:

Thema des Monats Mai 2011: Psychische Gesundheit
Herausforderung für Mitarbeiterbetreuung und Führungskultur

Die Anzahl der Mitarbeiter mit hoher psychischer Belastung nimmt zu. Für Personalmanager und Führungskräfte ergeben sich daraus neue Herausforderungen: Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen? Wie gehe ich mit ihnen um? Was kann/muss ich tun und wo sind Grenzen? In diesem DGFP “Thema des Monats” setzen wir uns mit diesen Fragen auseinander und stellen mögliche Lösungsansätze bereit.

Stop!

“Die Anzahl der Mitarbeiter mit hoher psychischer Belastung nimmt zu. … Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen?”

  1. Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen?
  2. Kann ich bei meinen Arbeitsplätzen die hohe psychische Belastung erkennen?

Beide Fragen sind natürlich legitim. Gesetzlich vorgeschrieben ist im Arbeitsschutz jedoch ausgerechnet die fehlende zweite Frage. Ohne sie zu beantworten, fehlen wichtige Lösungen für das Thema des Monats Mai.

 
http://www.dgfp.de/de/content/articles/burn-out-wenn-seele-und-koerper-bei-der-arbeit-nicht-mehr-mitmachen-1948/:

Zwar ist es die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, zu entscheiden, wie weit er oder sie sich aufzehrt und wo die persönlichen Grenzen des Engagements für das Unternehmen liegen. Doch gerade an dieser Selbstreflexion mangelt es offenbar bei den vom Burn-out Betroffenen.

Auch diese Klage ist berechtigt. Doch schon wieder fehlt etwas. Hat das vielleicht System? Bei der Deutschen Gesellschaft für Personalführung sind nicht die berechtigten Fragen, die sie stellt, das Problem, sondern die wichtigen Fragen, denen sie ausweicht: Warum halten Arbeitgeber, bevor sie immer wieder “Eigenverantwortung” einfordern, sich nicht erst einmal an die Mindestvorgaben des Arbeitsschutzes?

 
http://www.dgfp.de/de/content/articles/dgfp-studie-zur-psychischen-beanspruchung-von-mitarbeitern-problem-in-fast-jedem-unternehmen-2024/ (2011-06-07: Die Links scheinen sich zu ändern. Probieren Sie’s mal hier: http://blog.psybel.de/fehlberatung-belastung-und-beanspruchung/):

Was den Umgang der Führungskräfte mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern angeht, so scheint es dort erhebliche Defizite zu geben. 76 Prozent der befragten Personalmanagern sind der Ansicht, dass die Führungskräfte in ihrem Unternehmen nur unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Beanspruchung zu erkennen. 87 Prozent der Befragten beobachten, dass die Führungskräfte unsicher sind, wie sie sich im Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern adäquat verhalten. 56 Prozent der befragten Personalmanager haben den Eindruck, dass die Führungskräfte die psychische Beanspruchung ihrer Mitarbeiter tabuisieren.

Die Führungskräfte in ihrem Unternehmen sind vielleicht unzureichend darauf vorbereitet, psychische Beanspruchung zu erkennen. Insbesondere sind sie aber von einem Berufsverband schlecht beraten, der ihnen die falschen Prioritäten vorgibt. Denn wenn sie unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Fehlelastungen zu erkennen, dann kommen Sie mit dem Gesetz in Konflikt und werden sich irgendwann auch mit Haftungsansprüchen konfrontiert sehen.

Es ist fast schon faszinierend, wie hier das Thema der psychischen Belastung umschifft (tabuisiert?) wird. Das mag an einer verbesserungsfähigen Kenntnis des Arbeitsschutzes liegen, denn die Klage über “psychische Beanspruchung” geht sogar viel zu weit. Ein Arbeitgeber hat nämlich ein gutes Recht, seine Mitarbeiter zu belasten! Arbeitnehmer werden dafür bezahlt, sich von psychischen Belastungen beanspruchen zu lassen und daraus etwas Nützliches zu machen. Es geht nicht um die Vermeidung von psychischen Belastungen (in der ISO 10075 steht mental workload), sondern es ist die gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber, psychische (und andere) Fehlbelastungen zu vermeiden oder wenigstens zu mindern.

Aussagen zur Gefährdungsbeurteilung in der Studie fand ich nur auf Seite 17: Nach Angabe der DGFP setzen 60% von 212 Unternehmen die Instrumente “Arbeitsplatzanalyse/Gefährdungsbeurteilung” zu “Maßnahmen zur Prävention bzw. zum Umgang mit psychischer Beanspruchung” ein. Und dann:

Erstaunlich ist, dass die am besten bewertete Maßnahme (individuelle Belastungs und Beanspruchungsanalyse), die von 92 Prozent der Anwender als positiv bewertet wird, in nur 12 Prozent der Unternehmen engesetzt wird.

Nach dem zuvor Gesagten erstaunt mich hier nichts mehr. 12 Prozent sind noch viel zu viel. Klar ist es einfacher, sich den einzelnen Mitarbeitern fürsorglich zuzuwenden und psychische Probleme bei ihnen individuell zu verorten. Da sind wohl 15 Jahre Arbeitsschutz spurlos an der DGFP vorbeigegangen: Beim ganzheitlichen Arbeitsschutz kommen Arbeitsplätze auf die Couch, nicht die Mitarbeiter!

“Im Vordergrund des Arbeitskreises standen dabei psychische Beanspruchungen, eine mögliche Vorstufe psychischer Erkrankungen.” Das ist Unsinn. Nicht “psychische Beanspruchungen” sind ein Problem, sondern “psychische Fehlbeanspruchungen”. Diese “Studie” ist Desinformaton und manipulativ.

Es gibt wesentlich seriösere Arbeiten. Wie man sich ernsthaft und kritisch (auch gegen Gewerkschaftspositionen) mit dem Thema des psychischen Belastung auseinandersetzen kann, zeigen A. Hofmann, K.- J. Keller und R. Neuhaus in Die Sache mit der psychischen Belastung, Eine praxisnahe Handlungshilfe für Unternehmen in Leistung und Lohn, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (Nr. 367/368/369/370 April 2002).


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